Die Stunde zwischen Frau und Gitarre by Setz Clemens J

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre by Setz Clemens J

Autor:Setz, Clemens J. [Setz, Clemens J.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-09-10T16:00:00+00:00


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Natalie war in den letzten beiden Nächten kaum aus dem Haus gegangen. Andocken und Streunen erschienen ihr so absurd wie die Vorstellung, sich unter freiem Himmel operieren zu lassen. Sie verkroch sich in ihrer Wohnung, wo der Fernseher lief, kümmerte sich um den Kater, herzte ihn viel und redete lang auf ihn ein. Die verrückte Geschichte vom Mann, der mit der Katze spielt, war sicher eine verschlüsselte Warnung, sagte sie sich. Ein Code. Hollberg ahnt irgendwas. Hartenaugasse, Koller. Es ist alles verdrahtet. Er hatte sogar gesagt: Sehen wir uns dieses Detail an. Detail. Davon hatte Markus angefangen ! Aber es war unmöglich, dass Markus bewusst oder absichtlich. Nein, so tief steige ich nicht ein. Der Gedanke ist verboten. Markus steckt nicht unter einer Decke mit. Nein, er liebt mich ja sogar noch, dieser Jammerteig. Nein, der würde nie, absolut nicht, ausgeschlossen. Natalie war gestern nach der Arbeit am Haus von Dorms Schwester und davor auch an dem in der Hartenaugasse vorbeigefahren, aber alles war ruhig. Filme waren immer viel dynamischer.

18 Uhr hatte sie mit Mario vereinbart. Natalie war schon eine halbe Stunde vorher da. Und sie gewährte ihm mindestens eine ganze Stunde Verspätungspuffer, schließlich war er zu Fuß unterwegs, er hatte bestimmt kein Rad wie sie. Etwa fünfzehn Minuten lang, nachdem sie auf dem verabredeten Platz gut sichtbar Aufstellung genommen hatte, war sie in einem vorfreudig glühenden Zustand, sie fühlte sich am Ziel, sie würde etwas unternehmen in Sachen Hollberg, mehr erfahren, besser verstehen, hinter die Kulissen blicken, und gleichzeitig würde sie Mario näherkommen. Es wurde langsam ernst. Warnung. Eric, Karl. Sollte sie von Bezahlung reden ? Vielleicht würde Mario ihr ja erlauben, sich richtig bei ihm zu revanchieren, ein sehr dummer Gedanke, sie wischte ihn fort. Ein Mann mit Lederjacke und zwei kleinen Kindern kam vorbei, eine lächerliche, fast beleidigende Parodie des von ihr erwarteten Menschen. Auch das Gesicht war vollkommen falsch ! So ein alternder Typ, mit Glatze und komischem weißem Haarflaum an den Schläfen. Blöder Sack, geh schneller.

Warten, grausame Dehnung der Zeit. Zwischen den einzelnen Sekunden war genug Raum, um mit dem Fingernagel hängen zu bleiben und, igitt, am Nagelrand dieses kleine Wurzelchen aufzubiegen, das dann nie wieder abreißen wollte, sondern wie ein aus dem Sand gezogener Draht –

Endlich ! Mario !

Nein, er war es wieder nicht.

Die ganze Zeit ging das schon so. Mario kam auf sie zu, das heißt ein Mensch mit Marios Gesichtszügen, aber auf den letzten Metern verwandelte er sich in etwas Unbrauchbares und Fremdes. Natalie verfluchte diese ausgerechnet heute Abend, wenn sie es am wenigsten brauchen konnte, so geballt und zahlreich auftretenden Mimikry-Spiele der Natur, diese albernen Straffungen des sonst so locker gespannten Netzes des Zufalls. In jedem Land, in jeder Stadt laufen Doppelgänger von uns herum. Aber doch nicht in jeder Straße ! Und alle paar Minuten ! Da wird man ja senil davon.

Wieder glaubte sie ihn zu sehen. Diesmal riss sie ihr Herz an der Leine, damit es vielleicht wahr blieb bis zuletzt, aber nein, es war eine dicke Frau mit schwarzem Mantel, die in ihrer aufgeblasenen Unschuld



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